Reise in die Vergangenheit meines Onkels

Reise in die Vergangenheit meines Onkels

Wie die meisten der verehrten Leserinnen und Leser sicher wissen, ist der stellvertretende Landesvorsitzende Rainer Claaßen nicht nur begeisterter Eisenbahner, sondern ebenso begeisterter VWKäfer-Fahrer; er nennt selbst zwei dieser Fahrzeuge sein eigen. Eines davon wurde im vergangenen Winter in der Restaurierungswerkstatt des Kaschubischen Volkswagenmuseums in der Nähe von Danzig fachmännisch erneuert. Während der Monate der Restaurierungsarbeiten hatte ihm das Museum großzügigerweise einen Leihkäfer zur Verfügung gestellt. Bei der Rückablieferung desselben und der Abholung des eigenen wurde Rainer Claaßen von dem etwa gleichaltrigen Grafiker Bernhard Emmert begleitet, der den PREUSSEN-KURIER von Anfang an grafisch gestaltet und für den Druck vorbereitet hat. Bernhard Emmert hat die Eindrücke dieser ersten West- und Ostpreußenreise seines Lebens auf unsere Bitte hin für den PREUSSEN-KURIER zusammengefasst.

Ich arbeite in der Druckerei, in der dieses Heft gedruckt wird. So habe ich auch Rainer Claaßen kennengelernt. Es herrschte von Anfang an Sympathie zwischen uns, obwohl, politisch gesehen, ich auf der gegenüberliegenden Seite des Parteienspektrums stehe. Also wurden der PREUSSEN-KURIER wie auch der FRITZ fortan mit Interesse von mir gelesen. Ende letzten Jahres hat er mir angeboten, mich mit nach Ostpreußen zu nehmen, und zwar in einem alten VW Käfer. Klar, oldtimerbegeistert wie ich war, wurde zugesagt… unter Vorbehalt des OK’s meiner Frau.
… da war doch was… ist nicht mein verstorbener Onkel Walter Neuber von „da drüben“ her? Wir, meine Eltern und ich waren früher häufig in Irmelshausen bei Onkel Walter und Tante Gertrud. Dort habe ich auch meine ersten Hasen mit hängenden Ohren gesehen. Ich wußte noch, daß er früher in Preussen einen Bauernhof und Pferde hatte. Bei einer Tasse Kaffee bei meiner Tante erfuhr ich dann noch mehr. Als die Rote Armee in Schönberg bei Elbing einmarschierte, war er im Westen stationiert. Seine Ehefrau wurde zusammen mit ihrer Mutter von der Roten Armee im Zug nach Sibirien verschleppt. Seine Schwiegermutter wurde während des Transportes krank und aus dem Zug „gelassen“, sie überlebte und erzählte es meinem Onkel.

Bernhard Emmert vor der Abfahrt mit dem Leih-Käfer

Bernhard
Emmert vor der Abfahrt mit dem Leih-Käfer

Nie hat mein Onkel seine Ehefrau oder seine Heimat je wieder gesehen, nichts, auch keine Bilder konnte er retten.
Jetzt war klar, ich will sehen wo die Heimat meines Onkel war, wie die Landschaft aussieht und ob sein Haus dort noch steht.
OK, übers Internet erst mal meinen Wissensstand über Vertreibung und die ehemaligen Ostgebiete aufgefrischt. Das Thema der Heimatvertreibung ist in Bayern ja von der CSU besetzt, und wenn man die nun mal so gar nicht mag, meidet man, so wie ich bisher, dieses Thema. Was ich nun über die Vertreibung gelesen und gesehen habe, war sehr bedrückend. Es ist für mich unvorstellbar, wie die Vertriebenen, besonders die Frauen, danach ein „normales“ Leben führten.
OK, im April 2011 startete die Fahrt zusammen mit Christian, einem Schüler und wandelnden VWKäfer-Lexikon. Für mich eine Zeitreise im Oldtimer zu den Wurzeln meines Onkels.
Nach einer doch sehr langen Fahrt und einer Übernachtung in Polen, in einem tollen privaten VWMuseum (Galeria Pępowo), saß ich nun im VW Käfer umgeben von schöner Landschaft und fuhr die Baumallee entlang, direkt auf Schönberg zu. Hier ist mein Onkel sicher auch entlang gefahren. Sein Bauernhof lag am Ortseingang links, an der ehemaligen Reichsstraße 1. Wir sind da, ich bin da, ich kämpfe mit Tränen in meinen Augen. Hier hat er gelebt. Das Wohnhaus ist unbewohnt, nur die beiden Stallungen werden noch genutzt. Jetzt alles fotografieren, aufsaugen, um es nie mehr zu verlieren.

Ehemaliges Wohnhaus der Familie Neuber in Schönberg Bernhard Emmert

Ehemaliges Wohnhaus der Familie Neuber in Schönberg
Bernhard Emmert

Durch ein Fenster im Wohnhaus kann ich zwei Zeitungsschnipsel der deutschen Zeitung aus Elbing von der Wand abziehen, das war mal der Unterbau der Tapete. Dies werde ich meiner Tante mitbringen.

Die Einfahrt des ehemaligen Anwesens Neuber in Schönberg Bernhard Emmert

Die Einfahrt des ehemaligen Anwesens Neuber in Schönberg
Bernhard Emmert

Schön restauriertes Weltkrieg-I.-Denkmal bei der Kirche in Schönberg Bernhard Emmert

Schön restauriertes Weltkrieg-I.-Denkmal bei der Kirche in Schönberg
Bernhard Emmert

Auf dem 1. Weltkriegsdenkmal an der Kirche finden wir noch den Namen August Neuber, gestorben 1917 in der Heimat. Wer war er, war es sein Vater? Die Fahrt geht weiter und wir verlassen den kleinen Ort auf einer Baumallee mit Sommerweg. Sicher ist Onkel Walter früher darauf geritten.Bernhard Emmert

Es gäbe noch mehr über diese 3 Tage zu erzählen, etwa von einem liebenswerten, aber erzkonservativen Jarek Kowalski, einem Deutschlehrer aus Guttstadt, den ich auch noch kennen lernen durfte. Er ist positiv verrückt, fährt mit einem Käfer Cabrio und seiner „Käferin“ (VW Käfer als Wohnwagen umgebaut) durch Europa…
Was blieb außer 2 Fetzen Zeitungspapier übrig?

  • Viele schöne Bilder, die ich meiner Tante, meinen Eltern und Freunden zeigen konnte.
  • Meine Vorurteile gegenüber Polen sind abgebaut
  • Meine Vorurteile gegenüber Teilen der Vertriebenverbände auch
  • Meine politische Einstellung ist immer noch gleich, wobei ich die interessanten Diskussionen im VW Käfer schon vermisse